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Gute Reise Frau L.

Liebe Frau L.,

morgen ist wieder Dienstag. Zehn Uhr war immer unsere Zeit, zu der ich Sie im Pflegeheim besucht habe, 1 1/2 Jahre lang.

Erst haben Sie mir viele Geschichten Ihres Lebens erzählt, wo Sie nach dem Krieg hingekommen sind – und viel Glück hatten – dann wie Sie Ihren Mann kennen gelernt haben, was für Sie gezählt hat, die Höhen und Tiefen bis hin zur eigenen Krankheit. Vielen Dank für Ihr Vertrauen.

Wir haben liebevolle Stunden am Sprudelstein verbracht, Obst gegessen und die Welt wieder ein Stück grade gerückt. Ich denke ich konnte Ihnen ein wenig den Schreck aus der Nacht nehmen, in der man sich ausgeliefert fühlt, wenn man nicht mehr aufstehen kann.

Corona hat uns alle herausgefordert, aber wir beide haben das beste daraus gemacht und sind in die Natur gegangen. Besonders schön waren die Störche hier auf unserer Wiese vor der Tür.

Dann kam der 2. lockdown, der für Bewohner der Alten- und Pflegeheime NOCH schwerer auszuhalten ist als für alle anderen, die sich zumindest frei bewegen können. Ich habe Ihnen jede Woche eine Tüte gepackt und konnte doch Ihre Trauer fühlen dass es nicht reicht….

Trost, Ansprache, Berührung, der AUGENBLICK ist doch ein kostbares Gut, das uns vorher gar nicht in dem Maße bewusst war, weil es doch immer zur Verfügung stand. Vor 14 Tagen durfte ich wieder zu Ihnen, nach der ersten Impfung, für mich ein Schnelltest, dann mit Masken im Gegenüber, Abstand.

Es war nicht mehr Ihre Welt. Selbst die klein gewordenen Freiheiten sind so eingeschränkt und niemand kann sagen wie lange alles dauert. Sie haben Ihrer Trauer darüber freien Lauf gelassen. Wir beide wussten nicht, dass es unser letztes Treffen war.

Alles Liebe Frau L.

Gute Reise und danke dass wir uns aufeinander eingelassen haben!🙏🌻